COVID-19: Besonderheiten im Umgang mit Menschen mit Demenz
Was können Angehörige und betreuende Personen also beim Umgang mit an Demenz erkrankten Personen im Zusammenhang mit Corona beachten?
Herausforderungen für Menschen mit Demenz in der aktuellen Situation
Die aktuelle Corona-Situation ist für Demenzerkrankte eine sehr abstrakte Information, die sie nicht einordnen können, da insbesondere das Kurzzeitgedächtnis und die Verarbeitung neuer Informationen schnell verloren gehen. Nachrichten, die nicht emotional behaftet sind und vom Betroffenen nicht selbst durchlebt werden, können noch viel weniger aufgenommen und verarbeitet werden.
Aufgrund ihrer Erkrankung verfügen Menschen mit Demenz je nach Schwere der Erkrankung somit insgesamt über weniger Kompensationsstrategien bzw. Resilienz, um mit veränderten Situationen und Abläufen umzugehen. Beispielsweise können geänderte Besucherregelungen, der Wegfall von Gruppenaktivitäten, gemeinsamen Mahlzeiten, Ausflügen oder Spaziergängen eine akute Verschlechterung der Demenz-Symptomatik
auslösen.
Dies kann sich mit zunehmender Verwirrtheit, gesteigerter Unruhe und/oder aggressivem Verhalten äußern, was wiederum eine vermehrte Belastung für die betreuenden Personen darstellt. Aber auch ambulant versorgte Demenzkranke sind durch das Fehlen ihrer Betreuungsperson oder der Schließung von Tageseinrichtungen betroffen.
Durch den daraus resultierenden akuten Versorgungsmangel werden Betroffene zum Teil temporär in neuer Umgebung oder von nicht vertrauten Personen versorgt, obwohl insbesondere Vertrautheit, Regelmäßigkeit und Gewohnheit den Betroffenen das notwendige Schutzgefühl und Stabilität geben. Die Verschlechterung aufgrund ungewohnter Umstände kann in vielen Fällen erst zeitverzögert nach Tagen auftreten.
Außerdem können Patienten im fortgeschrittenen Stadium einer Demenzerkrankung ein Krankheitsgefühl oft nicht mehr verbal adäquat ausdrücken bzw. beschreiben. Frühe Anzeichen für eine beginnende COVID-19-Erkrankung können rapide Verschlechterung des Verwirrtheitsgrades, Fieber, Husten, Kurzatmigkeit oder ungewöhnliche Abgeschlagenheit bedeuten.
Tipps für den Umgang mit Menschen mit Demenz in der aktuellen Situation
- Der regelmäßigen Patientenbeobachtung und Vitalzeichenkontrolle kommen eine besondere Bedeutung zu.
- Die aktuelle Situation sollte mehrfach geduldig erklärt werden, sofern der Betroffene danach fragt. Dazu sollten einfache, kurze Sätze und idealerweise gleiche Formulierungen verwendet werden.
- Die Wichtigkeit der Hände- und Hustenhygiene erfordert für Demenzerkrankte häufige, visualisierte Erinnerungshilfen. Je nach Ausmaß der Erkrankung können Hinweisplakate über dem Waschbecken angebracht werden, die an das Händewaschen und die Dauer erinnern. Allerdings geht das Zeitgefühl im Rahmen einer Demenzerkrankung schnell verloren, sodass „20 Sekunden“ wenig Bedeutung für die Betroffenen haben. Daher sollte in fortgeschrittenen Stadien die betreuende Person die gründliche Händehygiene immer wieder demonstrieren und begleiten.
- Die Händehygiene kann langfristig trainiert und nach den Beschränkungen beibehalten werden, da sie auch hilft, andere Infektionserkrankungen wie Influenza zu vermeiden. Zudem ist es für Menschen mit Demenz einfacher, Gewohnheiten langfristig beizubehalten.
- Eine weitere Möglichkeit ist die Aufmerksamkeit auf die Hand lenken, indem man darauf zeigt oder diese leicht berührt. Sollte dies nicht genügen, kann die „Hand-unter-Hand-Strategie“ helfen zur Unterstützung bei der Ausführung von Handlungen, ohne diese vollständig zu übernehmen. Ggf. kann auch der Einsatz eines akustischen Signals oder von Melodien getestet werden.
- Solange eine Kontaktbeschränkung gilt, können je nach individuellen Gegebenheiten Telefon und Videotelefonie zur Kontaktaufnahme mit Familienangehörigen eingesetzt werden. Wann und wo möglich, sollte die Kontaktaufnahme zu den Uhrzeiten der sonstigen Besuche stattfinden. Doch auch hierbei sollten die Hygienegrundlagen beachtet werden: soweit möglich personengebundene Geräte verwenden, die im Zimmer verbleiben; Geräte regelmäßig desinfizieren.
- Die bestehenden Ausgangseinschränkungen können zu einer gesteigerten Unruhe sowie Bewegungsdrang führen. Hier können begleitete Spaziergänge an Randzeiten, Aktivierungsübungen oder einfache Gymnastikübungen die Unruhe mildern, gegebenenfalls können ähnliche Aktivitäten, die sonst in der Gruppe durchgeführt werden, auch im Zimmer stattfinden. Die Alzheimer Gesellschaft hat Anregungen in ihrer kostenlosen App „Alzheimer & YOU – den Alltag aktiv gestalten“ zur Verfügung gestellt (iPhone und Android).
- Sich wiederholende Abläufe mag Gesunden langweilig vorkommen, Rituale gibt Menschen mit Demenz jedoch Orientierung und Sicherheit. Daher sollten Gewohnheiten wie Mahlzeiten, Bewegung, Schlafengehen nach Möglichkeit immer zu den üblichen Zeiten stattfinden.
- Das folgende Video der Alzheimergesellschaft fasst die Punkte nochmals übersichtlich zusammen: https://www.youtube.com/watch?v=4CHEfhrLxi4
- Für die Betreuung von dementen Personen zu Hause ist für Angehörige in dem folgenden Dokument alles detailliert zusammengefasst: https://www.alzheimerurischwyz.ch/userfiles/downloads/In_Zeiten_des_Corona.pdf
Bei der Lösungssuche können ausserdem folgende Fragen hilfreich sein:
- Erfährt der Demenzerkrankte soziales, psychisches und/oder körperliches Leiden durch die Einschränkung persönlicher Kontakte und der Bewegungsfreiheit?
- Wie lassen sich Besuchsverbote und das durch sie hervorgerufene Leiden abfedern oder vermeiden (z.B. Spaziergange mit den Angehörigen, Einsatz von Bildtelefonie – sofern es die Person nicht verwirrt oder beunruhigt –, Schutzvorkehrungen bei Besuchen, zusätzliche Angebote der Musik- oder Bewegungstherapie)?
- Welche Möglichkeiten bestehen, dass bisher von Angehörigen vorgenommene pflegerische Handlungen weiterhin durchgeführt werden können?
- Wie lässt es sich ermöglichen, dass vertretungsberechtigte und nahestehende Personen Zugang oder Kontakt zu dem Demenzerkrankten haben?
- Wie kann man dem Bewegungsbedürfnis des Demenzerkrankten gerecht werden? Gibt es räumliche und zeitliche Möglichkeiten, die Bewegung erlauben, ohne anderen Personen zu nahe zu kommen (z.B. vor allem morgens oder abends)?
- Welche personellen und institutionellen Möglichkeiten stehen zur Verfügung (z.B. Begleitung bei Spaziergängen, Aktivierung, Organisation weiterer fachlicher und personeller Unterstützung, Einbezug der Angehörigen)?
- Wie lassen sich Schutzmassnahmen so schonend wie möglich durchführen (z.B. räumliche Trennung ohne Isolation, Teilnahme an Aktivitäten unter Einhaltung der Distanzregeln)?
Insgesamt sind in dieser Zeit noch mehr Geduld, Verständnis und Mitgefühl von Nöten. Auch die Angehörigen sollten auf sich achten und sich nicht überfordern.
Quellen
Alzheimer Uri/Schweiz:
https://www.alzheimerurischwyz.ch/userfiles/downloads/In_Zeiten_des_Corona.pdf
Andrea Jessen (2020): Erhöhtes Risiko bei COVID-19: Alter, Vorerkrankung, Demenz. In Heilberufe 2020; 72(5): 18–19. Published online: German. doi: 10.1007/s00058-020-1495-9
CURAVIVA & INSOS Schweiz (2020): COVID-19 und Demenz: Wie können die Institutionen für Menschen mit Unterstützungsbedarf den ethischen Herausforderungen im Alltag begegnen?
https://www.curaviva.ch/files/FQ7LQAN/coronavirus__demenz_ethik__curaviva_schweiz__insos_schweiz__362020.pdf
Deutsche Alzheimergesellschaft e.V. (2020): Video Demenz: Vorsorge treffen.
https://www.youtube.com/watch?v=4CHEfhrLxi4
Bundesministerium für Familie, Senioren…:
https://www.wegweiser-demenz.de/informationen/alltag-mit-demenzerkrankung.html
Autoren: Dr. med. Marcus Rall und Dr. phil. Saskia Huckels-Baumgart, InPASS